„Gehen oder bleiben?“ – Berufsbiografische Entscheidungen

„So viel Wechsel war nie!“
„Wenn nicht jetzt, wann dann?“
„So viele neue Gesichter!“
„Was, Du gehst?“


Kennen Sie das auch? Solche Gesprächsfetzen sind in den letzten Monaten immer öfter zu hören. Es scheint, dass sich nach Corona so manche Menschen bewusster geworden sind, was ihnen wirklich wichtig ist. Und was sie tun würden, wenn´s drauf an kommt. Und es kommt darauf an: Auf uns, auf unsere Werte, auf unsere Entscheidungen.


Bewusste berufsbiografische Überlegungen macht man meist, wenn sich unbewusst schon eine Weile die Frage darunter entfalten konnte: Worum geht es eigentlich? Es gibt klar von außen definierte Übergänge, z.B. bei einer befristeten Stelle, dem Abschluss einer Ausbildung, dem Renteneintritt. Und es gibt von innen erlaubte Übergänge, die sich zeigen können z.B. durch eine innere Unruhe, ein Kribbeln im Bauch, durch Hummeln im Hintern, Sehnsucht im Herzen, Druck im Nacken, Pro- und Contra-Listen im Kopf. Irgendwann gibt es dann eine Entscheidung: Gehen oder bleiben?
Solche Übergänge geschehen meist nicht von jetzt auf gleich, sondern brauchen Zeit. Das sog. Bridges-Modell veranschaulicht, dass es ein Prozess ist, um vom Alten ins Neue zu kommen. Und dazwischen liegt ein eigener „Raum“, der notwendig ist, dass die Veränderung reifen kann, die Seele nachkommen oder vorgehen kann.

So sind die Gefühle oft ambivalent, die sich bei der Frage „Gehen oder bleiben?“ zeigen. Das Bridges -Modell zeigt dies sehr anschaulich: Ein Teil ist im Bisherigen, möchte Bewahren, muss sich aber verabschieden. Dies wird im Lauf der Zeit weniger. Gleichzeitig wächst der Bereich des Neuen, das beginnen will. Ein hilfreiches Schaubild für alle Veränderungsprozess, weil es deutlich macht, dass Menschen gerade mal eher im Alten verweilen, während andere sich im Neubeginn auf den Weg machen. Und wieder andere sind irgendwo dazwischen. Das hilft, z.B. im Team ganz unterschiedliche Perspektiven auf eine anstehende Veränderung zu verorten.
Diese Zwischenzeit ist kostbar und braucht eigene Aufmerksamkeit. Das ist eine verletzliche Phase vergleichbar zur Phase zwischen der Puppe und dem geschlüpften und fliegenden Schmetterling. Aufmerksamkeit auf sich selbst ist da besonders wichtig, um nicht ins Stolpern zu kommen und gut im Neuen anzukommen.
Und woher weiß ich, ob ich gehen oder bleiben soll? Wenn ich mir die Frage stelle, wie, wo und womit ich mein „Gold“ am Besten in die Welt bringen kann, könnte es sein, dass es neben dem momentanen Ort durchaus noch gute Alternativen gibt. Es ist eine Frage des Mutes und des Preises, den ich bereit bin zu bezahlen. Gehen hat seinen Preis und Bleiben hat seinen Preis. Und beides bietet Möglichkeiten. Wenn ich anfange, Pro- und Contra-Listen zu machen, ist das ein Zeichen, dass sich die Seele selbst schon entschieden hat. Sie braucht mit der Auflistung nur noch etwas „Futter“, damit der Kopf auch mitmacht.

 

Personalie:

Nach 11 Jahren als Fortbildungsreferentin im Diakonie.Kolleg. hat sich Christine Ursel entschieden, sich beruflich zu verändern. Zum 1.9.2023 wird sie als Pädagogische Leitung und Geschäftsführung im Evangelischen Bildungswerk Nürnberg e.V. – forum erwachsenenbildung im „eckstein“ in Nürnberg beginnen. www.feb-nuernberg.de

Bonus:

„Generationswechsel in Organisationen: Psychodynamische Aspekte bei der Gestaltung von Übergängen“ Artikel von Christine Ursel, erschienen in der Zeitschrift: Praxis Gemeindepädagogik, Heft 2-2020, S. 40-42